Kosmos Wiepersdorf

#kosmoswiepersdorf

00:00
00:00
Petra Heymach: Bettina Encke von Arnim

Ergänzung

Petra Heymach: Bettina Encke von Arnim

„An einem schönen Sonntagmorgen, dem 22. April 1945, wurde plötzlich das alte friedliche Wiepersdorfer Haus von Russen besetzt.“ So beschreibt meine Großmutter, Bettina Encke von Arnim, die Ereignisse auf Schloss Wiepersdorf, wo sie seit einigen Jahren mit ihrer Mutter, Agnes von Arnim, und ihren Schwestern lebte. Dieses alte Wiepersdorfer Haus war mir seit frühester Kindheit aus Erzählungen als paradiesischer Ort, als eine entrückte Welt vertraut. Ich wusste, dass meine Mutter und ihre Schwester dort während des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte eine unbeschwerte Kindheit erleben durften. Meine damals in Berlin lebenden Großeltern, Bettina Encke von Arnim und ihr Mann, Walther Encke, hatten sich schweren Herzens von ihren Kindern getrennt und sie nach Wiepersdorf geschickt, als sie in Berlin abgehört und diffamiert wurden und als mein Großvater in Schutzhaft geriet. Nach der Besetzung des Schlosses durch die Russen im April 1945 wurde die Familie, die vor Ort nur noch aus Frauen bestand, aus dem Schloss verwiesen.

Weil sie und ihr 1941 verstorbener Mann nachweislich eine antifaschistische Haltung eingenommen hatten, gelang es ihr mit Unterstützung ihres Freundes Iwan Katz, an der Landverteilung in Wiepersdorf beteiligt zu werden. Sie erhielt 5 ha Siedlungsland. Was zunächst wie ein Privileg erschien, entpuppte sich schon bald als Auftakt zu einem entbehrungsreichen und kräftezehrenden Leben. Es mündete in einen beispiellosen Kampf um ein Haus, das sie als kulturhistorisch bedeutsame Stätte der Romantik erhalten wissen wollte.

Dafür unternahm meine Großmutter unzählige Fahrten nach Berlin, „in Eis und Schnee, auf dem Trittbrett od. Dach des Zuges auf Milchkannen“, wie sie selbst schreibt. Und das alles, „um den Dichtern das Restgut in die Hände zu spielen …“ In Berlin kam man ihr auf den Ämtern zugewandt und freundlich entgegen. Sogar eine Stellung als Hausdame im Schloss stellte man ihr in Aussicht. In Wiepersdorf hingegen war die Stimmung unter den persönlich betroffenen Siedlern eine gänzlich andere. Auf einer Versammlung, die der Losung „Junkerland in Bauernhand“ folgte, sollte beschlossen werden, auch Schloss Wiepersdorf und die dazugehörige Gärtnerei sowie den Park aufzuteilen. Meine Großmutter stimmte als Einzige gegen diese Aufteilung und berichtete später: „Mir lag daran das Schloß u. die alten Kulturgüter zu erhalten […] Der Leiter hielt eine Hetzrede gegen die ‘Junker‘ u. sagte dann zu m. Mutter: Frau von Arnim, Sie haben noch heute den Hof zu verlassen.“ Einige Siedler, die wegen des Votums meiner Großmutter um das in Aussicht gestellte Land fürchteten, denunzierten sie bei den Russen. Von denen wurde sie verhaftet und nach Luckenwalde ins Gefängnis gebracht. Freunde und Nazigegner wie Hulda Pankok, Iwan Katz und Fritz Kuhr setzten sich höchst alarmiert für sie ein. Wohl hauptsächlich durch den Einsatz von Iwan Katz erreichte sie nach 14 Tagen ihre Haftentlassung und kehrte nach Wiepersdorf zurück.

Für ihre alltägliche Versorgung erhielten sie und ihre Familie manchmal Care-Pakete und Zuwendungen von befreundeten Emigranten aus den USA. Für ihre eigene Mutter Agnes wünschte meine Großmutter Haarnadeln und Seife, für sich selbst aber Pinsel und Farbe. Sie, die ausgebildete Malerin, vermisste ihre Malerei schmerzlich, ohne sich der Familie gegenüber offenbaren zu können. Abends, nach der ungewohnten Arbeit auf dem Feld, saß man im Dunkeln, weil Lichtsperre herrschte. Das heißt, dass in der Zeit, in der sie hätte malen können, das erforderliche Licht fehlte. Meine Großmutter beneidete ihre malenden Freunde, die in Berlin längst wieder durchstarten durften und Ausstellungen organisierten. Ihre eigenen geretteten Bilder wurden inzwischen von Ratten angefressen.

Der Ertrag des überschaubaren Stückes Land, auf dem sie siedelte, war dürftig, und selbst auf ihn wurde ein Abgabesoll in Form von Feldfrüchten erhoben. Das heißt, die Frauen hungerten und wurden krank.

Doch trotz des Einsatzes und des harten Überlebenskampfes fand das Wiepersdorfer Leben für meine Großmutter, Bettina Encke von Arnim, ihre Mutter und ihre Schwestern schließlich doch ein Ende. Ein schnöder Zettel, eine Anordnung des Landratsamtes für Landwirtschaft und Forsten vom 20. September 1947 besagte, dass die Angehörigen der Familie von Arnim innerhalb von drei Tagen das Kreisgebiet zu verlassen hätten. Ein Jahr zuvor hatte meine Großmutter noch vor Ort miterleben können, wie eine Deutsche Dichterstiftung gegründet wurde. Die Weiterführung des einstigen Familiensitzes und seine Umwandlung in das Bettina von Arnim-Heim (DDR) verfolgte sie dagegen mit Interesse aus dem Westen. Dort waren ihr noch etliche Jahre beschieden, in denen sie sich ganz der Malerei widmen konnte – ihrer, wie sie schrieb, „eigentlichen Bestimmung“.

Petra Heymach, geboren 1951 in Biedenkopf/Hessen, arbeitete nach einem Studium der Sonderpädagogik und der Psychologie als Lehrerin mit dem „Förderschwerpunkt Sprache“ an einer Schule in Berlin/Kreuzberg. Ihr Interesse an Bettina von Arnim und ihrer Familie begann im 18. Lebensjahr. Zunächst näherte sie sich dem Thema mit Szenischen Lesungen wie Goethes leidige Bremse, Szenen einer Ehe (Literaturhaus Berlin) und diversen Vorträgen wie Bettina, eine Revolutionärin? Ab 1989 widmete sie sich gezielt der Familienforschung und recherchierte in den Archiven der (ehemaligen) DDR. 1992 erfolgte eine erste Ausstellung, Vom Familiensitz zum DDR-Künstlerheim Bettina von Arnim auf Schloss Homburg (Nordrhein-Westfalen). Ab 2000 begann eine intensive Recherche über den Maler Achim von Arnim-Bärwalde für eine Tagung auf Schloss Wiepersdorf 2001 mit dem Beitrag Ein Cravaller mit großen Feusten. Es folgten an der UdK eine Ausbildung zur Ausstellungskuratorin 2014 sowie diverse Weiterbildungen 2016 zum Thema. Von Mai bis Juli 2015 kuratierte sie die zweite Ausstellung auf Schloss Wiepersdorf über Leben und Werk der Malerin Bettina Encke von Arnim mit dem Begleitbuch Die Malerei ist mein ganzes Glück.