Kosmos Wiepersdorf

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Holger Schwinn: Achim von Arnim als Landwirt und Dichter

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Holger Schwinn: Achim von Arnim als Landwirt und Dichter

Mit einer Betrachtung über das Umpflügen des Ackers beginnt Achim von Arnims Roman Die Kronenwächter. Das „Tagwerk“ des Pflügers – also die vom Morgen bis zum Abend mit dem Gespann beackerte Fläche – wird mit dem „Tagwerk“ des geistig Arbeitenden, des Schriftstellers verglichen: Die der Erde zugewandte Tätigkeit des Pflügers ist „fest fortschreitend“ und wird „von allen geschätzt“. Mit großer Unsicherheit belastet dagegen sind die täglichen Mühen des „Arbeiters auf geistigem Felde“. „Wer mißt die Arbeit des Geistes auf seinem unsichtbaren Felde?“, fragt der Erzähler in der Einleitung des Romans: „Wer ehrt die Grenzen, die er gezogen?“ Der Beginn der Kronenwächter zeigt exemplarisch, wie das Landleben Eingang in Arnims Werke gefunden hat. Doch wie sah dieses Leben eines Landadeligen zwischen Ackerbau und Schreibpult aus? Was konnte Arnim der körperlichen Arbeit abgewinnen? Warum lebte er nicht bei Bettina und den Kindern in Berlin?

Als Arnim 1814 nach Wiepersdorf kam, war das Gut von Pächtern bewirtschaftet. Haupteinnahmequellen waren der Getreideanbau und die Schafhaltung. Der Dichter konnte – bis Mitte 1821 der letzte Pächter ging – zunächst viel Zeit an seinem grünen Schreibpult verbringen und langsam in die Rolle des Gutsherrn hineinwachsen. Anfangs baute er den Wirtschaftshof um; er pflanzte Bäume, legte Fischteiche an und schuf sich mit einem neuangelegten Nutzgarten ein kleines Paradies, das neben verschiedenen Obstsorten unter anderem Salat, Mohrrüben, Rote Beete, Kartoffeln und Spargel lieferte. Als Gutsherr erweiterte Arnim dann nach und nach die Landwirtschaft. Er hielt neben Schafen auch Schweine, Rinder und verschiedenes Federvieh auf dem Gut. Der Wald lieferte Wild und Pilze, im Dörfchen Bärwalde wurde Bier gebraut. Und sogar eine Brennerei gab es auf Wiepersdorf.

Im Ländchen Bärwalde, dem die Arnim’schen Güter Wiepersdorf und Bärwalde angehörten, wurden zur Bewirtschaftung der großen Getreide-, Klee- und Flachsfelder sowie zum Anlegen von Entwässerungsgräben und für den Stall- und Brunnenbau Dutzende Tagelöhner und Freiwillige eingesetzt. Auch der Gutsherr selbst packte mit an.

Dieser Einsatz zahlte sich jedoch kaum aus, denn die ökonomische Lage war schwierig. Von Anfang an bedrückten Arnim die enorm hohen Schulden auf den Grundbesitz und das Erbe der Familie, Schulden, die in seinen Augen seine Anwesenheit auf Wiepersdorf und die weitgehende Selbst¬versorgung der Familie erforderlich machten. Die Last der Schulden konnte von ihm nur allmählich verringert werden. Im Jahr 1818 musste er aus finanzieller Not sogar einen Teil des Erbes verkaufen. In den frühen 1820er Jahren dann kam es zu einem drastischen Verfall des Getreidepreises. – Trotz dieser vielfältigen Belastungen arbeitete Arnim unermüdlich auf Wiepersdorf an seinem literarischen Werk: an den Kronenwächtern, an Erzählungen, Dramatischem, Gedichten und kleinen Schriften.

In einem Brief an Bettina aus Wiepersdorf von Ende Mai 1821 thematisiert Arnim die Wirkungen des Landlebens auf sein Schreiben: „Ich fühle in Berlin physisch und geistig meinen Untergang“, schreibt er dort, „ich bedarf körperlicher Thätigkeit, um mich auch geistig thätig zu erhalten. […] mein Wirken, wenn ich hier selbst wirtschafte […] verknüpft sich mit der Welt meiner Gedanken.“ Und so erscheint der Wiepersdorfer Alltag in der Rahmengeschichte der Erzählungssammlung Landhausleben ebenso gespiegelt wie im Erzählfragment Martin Martir, worin sich folgende Zeilen finden: „wenn wir Äpfel schütteln, Trauben lesen, schlachten und Wurst machen, das sind unsre Festtage“. Die eigentümliche Verknüpfung von Obstanbau, Ackerbau und Viehzucht mit der Gedankenwelt eines Dichters wirkte sich zweifach auf Arnims Texte aus: Zum Einen durchdrang die Realität des Landlebens in Schilderungen und Sprachbildern das literarische Werk; zum Anderen erschloss sie dem Schriftsteller neue Themenfelder des Schreibens, etwa in den späten Schriften über Pferdezucht und Getreidehandel. So vollzog sich – down to earth – auf Wiepersdorf eine bemerkenswerte ‚Erdung‘ der Romantik, wenngleich festzuhalten bleibt, dass Arnim zeitlebens ein Vertreter der ‚Romantischen Schule‘ geblieben ist – einer der phantasievollsten Romantiker zudem. Vom märkischen Ackerboden aus erhob sich sein Geist zu hohem Flug und schuf jene Gedankenwelten, von denen es in den Kronenwächtern heißt, sie seien „ein Zeichen der Ewigkeit, nach der wir vergebens in irdischer Tätigkeit […] trachten.“

Dr. Holger Schwinn ist Literaturwissenschaftler. Er arbeitet als Projektmitarbeiter an der Frankfurter Brentano-Ausgabe, die am Freien Deutschen Hochstift in Zusammenarbeit mit der Goethe-Universität Frankfurt a. M. entsteht. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Romantik; für die Reihe „Frankfurter Buntbücher“ verfasste er „Achim von Arnim auf Wiepersdorf“ (Frankfurt a. d. O. 2016).