Station 2
Familiengrabstätte
In weiter Ferne, so nah: Bettina und Achim von Arnim zwischen Wiepersdorf und Berlin
Die Geschichte von Bettina und Achim von Arnim können Sie wahlweise hier, an dieser Stelle, oder direkt an den Gräbern auf dem eingezäunten Friedhof verfolgen. Die zahlreichen Briefe, die sich Bettina und Achim von Arnim geschrieben haben, geben Auskunft über das Leben im 19. Jahrhundert und über ihre Beziehung:
„Lieber Arnim, […] Du bist so voll von Deiner Ernte, daß Du gar nicht dran zu denken scheinst […] und daß es Dich auch wenig kümmert, daß ich nach Dir seufze und ob ich gesund oder krank bin […] Es tut mir sehr leid, daß Du nach vierwöchentlicher Abwesenheit nicht einmal dran denkst mir nur aufs ungefähr die Zeit zu bestimmen, wenn Du glaubst wiederzukommen […] Dein treues Weib Bettine“.
„Liebe Bettine! Herzinnig beklage ich Deine Schmerzen, aber beklage auch mich, der bei allem, was er unternimmt, zerrissen, zerstreut, in seinem Bestreben irre gemacht wird. Ich denke hier für die Meinen zu sorgen, opfere dem jede andere Beschäftigung, da rufst Du mich in jedem Briefe so ängstlich zurück, daß mir bangt. […] wir haben noch sehr viel zu ernten, auch der Einkauf von Pferden und Rindvieh lässt mich nicht fort. […] behalte lieb Deinen Achim Arnim“.
Vor Ihnen, innerhalb der knapp zehn mal zwanzig Meter umfassenden Umzäunung, befindet sich die Begräbnisstelle der Familie von Arnim: neun in zwei Reihen angeordnete, einander sehr ähnliche steinerne Gräber auf einem steinernen Boden. Gleich neben der verputzten Mauer der kleinen Kirche, am oberen rechten Rand des Areals, liegt Achim von Arnim begraben. Das Grab seiner Frau, der geborenen Bettina Brentano, liegt unmittelbar vor dem seinen, ebenfalls neben der Mauer. Manche behaupten, Bettina liege ihm gewissermaßen zu Füßen. Das allerdings wäre bestenfalls die halbe Wahrheit, doch dazu gleich mehr …
Die beiden schlichten Grabplatten auf den bemoosten Sockeln bilden jedenfalls den Rand der Familiengrabstätte. Links neben dem Dichterpaar befinden sich die Gräber seiner Söhne Kühnemund, Siegmund und Freimund sowie die von Anna, der ersten Ehefrau Freimunds von Arnim, und Claudine, mit der er in zweiter Ehe verheiratet war. Auch die Grabstätte Achim von Arnims, des Enkels des Dichterpaares, der für die architektonische Geschichte des Ortes von großer Bedeutung ist und der seinem Nachnamen ein „Bärwalde“ hinzufügte, finden Sie in der oberen Reihe. Etwas abgesetzt, am linken oberen Rand, steht der wesentlich kleinere Grabstein Walther Enckes, eines bürgerlichen Polizeioffiziers, der die Urenkelin von Bettina und Achim von Arnim, die auch Bettina von Arnim hieß, geheiratet hatte. An sie, die spätere Bettina Encke von Arnim, die nach dem Zweiten Weltkrieg großen Anteil an der Überführung des Schlosses in ein Schriftstellerheim hatte, erinnert ein Gedenkstein.
Was nun Bettina und Achim von Arnim angeht, verhält es sich so: Abgesehen von einigen Reisen und Berlin-Aufenthalten hat Achim seit 1814 meist hier in Wiepersdorf gelebt. Abgesehen von einigen Reisen und Aufenthalten in Wiepersdorf hat Bettina mit den zuletzt sieben Kindern meist in Berlin gelebt. War es also eine kühle Vernunftehe, die das Vorzeigepaar der deutschen Romantik über zwei Jahrzehnte führte?
Achim stammte aus einer verarmten Familie des preußischen Landadels. Nicht viel mehr als das sogenannte Ländchen Bärwalde hatte er geerbt – eine Herrschaft im Niederen Fläming mit sieben Ortschaften, zu denen neben der seinerzeit bedeutenderen Burg Bärwalde auch Wiepersdorf gehörte. Bettina hingegen war die Tochter des vom Comer See stammenden und in Frankfurt am Main wohlhabend gewordenen Kaufmanns Peter Anton Brentano. Ihre Mutter, Maximiliane von La Roche, war mit dem jungen Goethe – mindestens! – befreundet. Die Lotte im „Werther“ hat Maximilianes Augen …
Nord und Süd also, eigenbrötlerischer Landadel in Brandenburg und dem Leben zugewandtes städtisches Bürgertum vom Main, Protestantismus und Katholizismus – nicht gerade optimale Bedingungen für eine Ehe. Doch es gab pragmatische Gründe für diese Verbindung: Dass Achim von Arnim sein Erbe antreten konnte, hatte eigene Nachkommen zur Voraussetzung. Führte das Kalkül der Eheschließung die Eheleute aber ins Unglück? Fraglos gab es Reibungen zwischen den Beiden und auch gelegentliche Vorwürfe. Ein Missverständnis war diese Ehe aber dennoch nicht. Auf mehr als neunhundert Seiten, in mehr als fünfhundert Briefen, die zwischen Wiepersdorf und Berlin hin- und hergingen, kann man sie nachlesen: die tiefe gegenseitige Zuneigung, die von der Trennung bestärkte Sehnsucht nach Nähe – und vor allem die enorme Achtung voreinander. Es scheint, als hätten Achim und Bettina eine Leidenschaft geteilt: die Leidenschaft für verschiedene Formen des Poetischen, sei es im Schreiben, in der Musik, der Bildenden Kunst – oder im Leben.
Achim von Arnim studiert zunächst in Halle und Göttingen die Fächer Recht, Physik und Mathematik. Als er aber Dichter wie Goethe, Ludwig Tieck und Clemens Brentano kennenlernt, scheint er seinen eigentlichen Weg gefunden zu haben. Mit Clemens Brentano, dem Bruder Bettinas, gibt er ab 1805 die von den Zeitgenossen – allen voran von Goethe und den Brüdern Grimm – hochgeschätzte und bis heute wichtigste Volksliedsammlung der deutschen Romantik heraus: „Des Knaben Wunderhorn“. Doch Arnims Leben als Schriftsteller, Zeitschriftenmacher und Mitbegründer der höchst streitbaren „Deutschen Tischgesellschaft“ in Berlin währt nicht lange. Was bleibt einem antinapoleonisch gesinnten Patrioten übrig, wenn er keine Stelle im Staatsdienst ergattern kann? Drei Jahre, nachdem er und Bettina 1811 geheiratet haben, sieht Achim von Arnim einen Ausweg: das Leben als Landwirt auf den eigenen Gütern. In der Wiepersdorfer Zeit, bereits 1817, ist sein Hauptwerk, der erste Teil des Fragment gebliebenen Romans „Die Kronenwächter“, erschienen. Fortan aber widmet er sich – zur Verwunderung und dem Entsetzen seiner Frau – Kühen, Schweinen und Pferden. „Zuweilen begreife ich nicht, wie ich in das ganze Geschäft gekommen“, schreibt er ihr im Juni 1818, „aber es hat nun einmal so sein sollen, in der Stadtluft war kein Gedeihen für mich.“
Ganz anders Bettina von Arnim. Sie klagt noch 1823 in Wiepersdorf: „Das Schreiben vergeht einem hier, wo den ganzen Tag, das ganze Jahr, das ganze liebe Leben nichts vorfällt, weswegen man ein Bein oder einen Arm aufheben möchte. Ich kenne kein Geschäft, was den Kopf mehr angreift als gar nichts tun und nichts erfahren.“ Schon 1817 zieht sie mit den Kindern nach Berlin zurück. Dort ist Frau von Arnim Dauergast bei dem Rechtswissenschaftler und Mitglied des Preußischen Staatsrats Carl von Savigny, den ihre Schwester Kunigunde geheiratet hat. Sie verkehrt mit Achims und ihren eigenen Freunden wie den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm oder Alexander von Humboldt – und fügt sich ansonsten, wenn auch keineswegs klaglos, den Konventionen, die eine Rolle als alleinerziehende Mutter mit sich bringt.
Konventionen sind jedoch Bettines Sache nicht. „Seh ich mich um nach meiner Pflicht“, schreibt sie, „so freut michs recht sehr, daß sie sich aus dem Staub macht vor mir, denn erwischte ich sie, ich würde ihr den Hals herum drehen!“ Bettine, in Berliner Kreisen auch „der Kobold“ genannt, gilt als enfant terrible. Nach einem Streit mit Goethes Frau Christiane behauptet sie, „es wäre eine Blutwurst toll geworden und hätte sie gebissen“. Christianes Gatte, der Geheimrat von Goethe, ist pikiert. Der preußische Heeresreformer August Neidhardt von Gneisenau schreibt Bettine in einem Brief, er könne nicht immer ihre Vernachlässigung der konventionellen Formen verteidigen; einen väterlichen Rat aber möge er nicht erteilen, da er dazu weder das Recht noch die „Hoffnung des Erfolgs“ hätte. Da lag er wohl richtig. Als der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher sie zu küssen versucht, berichtet Bettine ihrem Mann stolz von ihrer beherrschten Reaktion – mit dem Zusatz: „Ich hab mich doch sehr geändert, sonst hätt ich ihm wahrscheinlich eine Rippe eingetreten.“ Diese bewusste, ganz natürlich auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung pochende Stärke und ihr Eintreten für alle, die sie für unterdrückt oder bevormundet hält, bringt Bettine viel Bewunderung ein – nicht zuletzt in den Augen von Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts wie Christa Wolf oder Sarah Kirsch.
Doch damit nicht genug: Nach Achims Tod 1831 wird Bettine selbst zu einer Schriftstellerin, deren Erfolg den ihres Mannes weit übersteigt. Die aus Briefen komponierten Romane „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ von 1835, „Dieses Buch gehört dem König“ aus dem Jahr 1843 oder „Clemens Brentanos Frühlingskranz“ von 1844 bilden eine ganz eigene Form romantischer Literatur.
Es spricht der Wahrheit also Hohn, dass die Inschrift auf Bettines Grab ihre Bedeutung für die deutsche Literatur verschweigt. Diese Inschrift, gleichermaßen Produkt gesellschaftlicher Rollenzuweisungen wie familiärer Zwiste, gibt nicht nur ein falsches Geburtsjahr an – tatsächlich wurde Bettina 1785 geboren – sondern verewigt sie zudem lediglich als „vermaelt mit Ludwig Achim von Arnim“. Dabei war Bettine sehr viel mehr.
Zur nächsten Station gelangen Sie, wenn Sie auf dem Hauptweg, zum Schlosskomplex weitergehen und das Gebäude rechts umrunden. Dort erfahren Sie, wie das ursprüngliche Gutshaus seinen schlossartigen Charakter erhielt.