Ergänzung
Friederike Frach: DDT in Wiepersdorf
Wie an einem anderen Hörpunkt zu erfahren ist, wurde Wiepersdorf nach dem Zweiten Weltkrieg durch das beherzte Wirken Bettina Enckes von Arnim bald zu einem Ort des Austausches unter den Künsten.
Die Urenkelin von Bettina und Achim von Arnim sorgte dafür, dass die Deutsche Dichterstiftung das Schloss übernahm. Ab 1947 konnten vor allem Autorinnen und Autoren eine begrenzte Zeit hier arbeiten, später kamen Bildende Künstler und Komponisten dazu. Das Grundkonzept blieb während der Zeit der DDR gleich.
Nachdem das Schloss in den 1970er Jahren völlig renoviert wurde und deswegen zu war, gab es 1981 einen Neubeginn. Von dieser Zeit möchte ich etwas erzählen.
Es war die Zeit, in der globale Umweltprobleme eine größere Aufmerksamkeit bekamen. In der Bundesrepublik gründete sich 1980 die Partei der Grünen und auch in der DDR wurde die Umweltbewegung stärker. Und wie war das in Wiepersdorf? Oft wurde das Schloss als Rückzugsort etwas außerhalb der Zeit beschrieben. Doch für mich spiegeln einige Geschichten in Wiepersdorf die Geschehnisse der großen Welt wie in einem Brennglas.
Ein Beispiel dafür gab es 1984. Zu finden ist es in den Unterlagen der Staatssicherheitsbehörde. Die Akte mit dem Namen „Forstschädlingsbekämpfung“ dokumentiert einen der wenigen Vorgänge direkt zu Schloss Wiepersdorf. Was war passiert? Der Pilot eines kleinen Flugzeuges hatte den Auftrag, ein so genanntes Aerosol über den Wäldern des Fläming zu versprühen, um Ungeziefer zu bekämpfen. Er vergaß die Luke zu schließen, so dass es über dem Dorf und dem Schloss samt Park Gift regnete. Ziemlich schnell verbreitete sich das Gerücht, es handele sich um das Nervengift DDT, was auch in der DDR verboten war.
Ich konnte mit damaligen Gästen sprechen, und die erzählten im Jahr 2009: „Die Aufregung unter den Gästen war groß, und wir haben aus der Geschichte auch was gemacht. Es gab die Möglichkeit, die eigentlich unkritisierbare DDR mit einer ziemlich dramatischen Sache vorzuführen, denn wir konnten relativ gefahrlos einen Gesetzesbruch nachweisen, der ein ganzes Dorf betraf. DDT war seit 1975 verboten, und es wurde auch von allen, die dann mit uns sprachen, nur das ‚Mittel‘ genannt. Der Gärtner hatte erkannt, vom Geruch her, dass es DDT war [...].“ (Frach 2012, 192 – FN 56, Ehepaar Gersch im Gespräch am 24.09.2009)
Daraufhin verfassten einige Schlossgäste ein Schreiben an das Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft, es ging in Kopie an das Ministerium für Umwelt und Wasserwirtschaft, das Ministerium für Gesundheitswesen und das Ministerium für Kultur.
Einen Auszug lese ich vor: „Am 21./22.5.84 wurde über dem Wald von Wiepersdorf, Kreis Jüterbog, ein DDT-haltiges Insektizid eingesetzt. Entgegen den in der Presse veröffentlichten Richtlinien erfolgte der Start des Flugzeuges bei stürmischem Wetter, zudem flog der Pilot offensichtlich eine falsche Route. Das hatte zur Folge, daß das gesamte Ortsgebiet von dem Kontaktgift voll betroffen wurde. Die hohe Gefährlichkeit wurde den Einwohnern und Gästen des Schlosses erst bewußt, als Tage später die Vernichtung der Obst-, Gemüse- und Futterkulturen angeordnet wurde.“ (Frach 2012, 192 – FN 58, BStU, HA XX 14654, Bl. 10, Kopie des MfK)
Interessanterweise ist dieses Schreiben in den Archiven der jeweiligen Ministerien nicht mehr zu finden, nur in den Unterlagen der Staatssicherheit ist es erhalten. Wie wichtig die Dokumentation eines solchen Vorfalls für die Staatssicherheit war, lässt sich daran ablesen, dass auch die inoffiziellen Mitarbeiter des Gebietes um Wiepersdorf hinzugezogen wurden.
Hier der Auszug aus dem Bericht eines Mitarbeiters der Stasi: „Bezüglich der erfolgten Eingabe diesbezüglich durch die Feriengäste des Heimes »Bettina von Arnim« schätzte der IM ein, daß sie aufgrund des Auftretens des Kreishygienearztes [...] vor den Feriengästen entstanden ist. Erst nach dem Auftreten des Oberförsters [...] hätten sich die Gemüter unter den Feriengästen wieder beruhigt. Jedoch war zu dieser Zeit die Eingabe bereits abgeschickt.“ (Frach 2012, 193 f – FN 63, Bericht IM „Paul“, 21.6.1984, BStU Potsdam, Pdm. AIM 2677/88 II.II, Bl. 230 f.)
Die SchriftstellerInnen und KünstlerInnen bezeichnete der Berichtende wiederholt als Feriengäste. Dass im Schloss gearbeitet wurde, scheint von Außenstehenden kaum wahrgenommen worden zu sein. Der damalige Bürgermeister Wiepersdorfs sagte 25 Jahre später im Gespräch, welche Konsequenzen dieser Umweltskandal hatte. Es gab zwar Maßnahmen, die seiner Meinung nach aber nur „halbe Sachen“ waren. Zum Beispiel wurde das Gras abgemäht und auf den Kompost gebracht, obwohl „das Zeug“, wie er es nannte, noch im Boden war. Und ihm ist aufgefallen, dass lange keine Vögel sangen, danach. (Vgl. Frach 2012, 194 f.)
Dr. Friederike Frach ist Geschäftsführerin des Brandenburgischen Literaturrates. Sie studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Kulturwissenschaft, Musikwissenschaft und Kulturelle Kommunikation und war später redaktionell in den Bereichen Dokumentarfilm, Fernsehen und Literaturveranstaltung tätig. Ihre zeithistorische Dissertation mit dem Titel „Schloss Wiepersdorf: Das Künstlerheim unter dem Einfluss der Kulturpolitik in der DDR“ erschien im Jahr 2012. Von 2013 bis März 2020 leitete sie den Career Service an der DEKRA Hochschule für Medien. Sie ist Dozentin für Medienwissenschaft, Audio-Visuelle Kommunikation und Wissenschaftliches Schreiben. Ihr Forschungsschwerpunkt bewegt sich um die Theorie der Erinnerungsorte. Friederike Frach ist ehrenamtlich im Beirat des Freundeskreises Schloss Wiepersdorf engagiert. Außerdem ist sie Vorsitzende des Kuratoriums der Studienstiftung KKGS-Berlin.